Obwohl der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland kontinuierlich wächst, sind sie in Bundestag und Landesparlamenten nach wie vor unterrepräsentiert. Daran ändert sich auch durch die jüngsten Landtagswahlen nichts. Die von der Robert Bosch Stiftung geförderte REPCHANCE-Studie zeigt, dass zwischen gesellschaftlicher Realität und politischer Repräsentation nach wie vor eine teils beträchtliche Lücke besteht.
Während in der deutschen Bevölkerung mehr als jeder Vierte einen Migrationshintergrund hat, sind es unter den Abgeordneten des Bundestags nur 11,4 Prozent. Größer ist die Diskrepanz in den Landesparlamenten – dort haben sie einen Anteil von nur 7,3 Prozent. Besonders auffällig ist die Unterrepräsentation im Saarland, in Rheinland-Pfalz, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen. Lediglich in den Stadtstaaten ist die Zahl Abgeordneten zumindest etwas höher als der Anteil der wahlberechtigten Bevölkerung mit Migrationshintergrund. So besitzen beispielsweise 21,1 Prozent der Abgeordneten in der Hamburger Bürgerschaft einen Migrationshintergrund.
Ursachen der Unterrepräsentation
„Wir sind im Dialog mit den Abgeordneten der Frage nachgegangen, welche Umstände ihre Karriere ermöglicht, welche förderlich waren und welche ihnen im Weg standen“, erklärt Prof. Dr. Andreas Wüst, Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule München und Leiter der REPCHANCE-Studie. Es sei erstaunlich, so der Forscher, dass größere, stark formalisierte Förderprogramme von vielen Befragten kaum genutzt und teils kritisch betrachtet werden. „Viel erfolgsversprechender sind persönliche Mentoring-Beziehungen, die individuell und auf Vertrauensbasis entstehen“, so Wüst. Oft trauen sich politisch Interessierte mit Einwanderungsgeschichte nicht zu, für ein Mandat oder Amt zu kandidieren, auch weil detaillierteres Wissen über politische Prozesse fehlt. „Motivation, Mobilisierung und Unterstützung für eine Kandidatur und während der späteren politischen Arbeit sind für diese Gruppe sehr wichtig – umso mehr zu Zeiten von Hate Speech und Bedrohungen“, erläutert Professor Wüst. Zusätzlich zur detaillierten Bestandsaufnahme der Repräsentation haben die Forschenden 77 Leitfadeninterviews auf sämtlichen politischen Ebenen geführt, um mehr über Faktoren für parlamentarische Karrieren zu erfahren.
Instrumentalisierung und Diskriminierung im politischen Alltag
Seit 1990 steigt der Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund auf Bundes- und Landesebene kontinuierlich an. Doch etliche Personen, die es ins Parlament geschafft haben, berichten, dass sie trotz anderer fachlicher Expertise eher Migrations- oder Integrationsthemen „zugewiesen“ bekommen. Und trotz der Wahrnehmung einer größeren Offenheit in den jeweiligen Parteien sagt über die Hälfte der befragten Abgeordneten, dass es in der eigenen Fraktion Strukturen und Gewohnheiten gibt, die Personen mit Einwanderungsgeschichte benachteiligten. Solche Erfahrungen belasten nicht nur den politischen Alltag, sondern tragen auch zu einem Gefühl der Geringschätzung bei und sind mit Blick auf das politische Engagement demotivierend.
